Toleranz, Brüderlichkeit und Menschlichkeit sind die neuen Grundlagen, die auf dem Fundament der alten Traditionen der Bauhütten mit der Gründung der ersten Großloge der Welt am 24. Juni 1717 in London festgelegt werden. Aus der Werkmaurerei hatte sich die auf geistige Arbeit ausgerichtete „spekulative“ Maurerei herausgebildet, folgerichtig aus der alten sittlichen Verantwortung der Bauhütten gegenüber ihren Mitgliedern entstanden. Anstoß dazu war ein eigentlich profaner Grund: der große Stadtbrand von London 1666, der vier Fünftel der Stadt vernichtete, darunter 89 Kirchen und etwa 13.000 Häuser. Zum Wiederaufbau Londons wurden nun über 30.000 Bauhandwerker aus England und vom europäischen Kontinent in die Stadt geholt. Alte Gewerbeordnungen und Zunftzwänge wurden dadurch ausgehebelt. Von den Zünften ausgehende soziale Schutzfunktionen, auch die der Bauhütten, waren nicht mehr aufrecht zu erhalten, um die gewaltige Aufbauleistung zu erbringen. Neue Unternehmensformen bildeten sich mit dem beginnenden Zeitalter der Industrialisierung, Handel und Handwerk erlebten einen enormen Aufschwung, Export und Import blühten auf. Man begegnete zunehmend fremden Menschen mit anderen Sitten und Glaubensvorstellungen. Das miteinander Auskommen zwang regelrecht zur Toleranz. Für das Wort Toleranz können wir auch das Wort Würdigung einsetzen, denn es enthält nicht nur die Anerkennung einer anderen Gesinnung, sondern auch die Achtung der Würde des anderen Menschen. Wir müssen deshalb aber nicht diese andere Meinung annehmen, können ganz andere Auffassungen haben und diese ebenfalls würdig und selbstbewusst vertreten, denn sie sind unser eigener, von uns als richtig erkannter Standpunkt. Aber niemand kann für sich die absolute Wahrheit beanspruchen, ohne ein Mindestmaß an Toleranz ist menschliches Zusammenleben früher wie auch heute nicht möglich. Mit der Toleranz verbunden ist der Begriff der Akzeptanz. In einer Demokratie gilt die Entscheidung der Mehrheit, die ich akzeptieren muß. Das sollte mich aber nicht davon abhalten, für meine eigenen Wertvorstellungen zu arbeiten, auf eine Veränderung der von mir als falsch erachteten Entscheidung hinzuarbeiten. Gleichgültigkeit wäre nicht angebracht, die Einstellung „Ich kann ja doch nichts ändern“ führt dazu, dass die Lautstarken, die Intoleranten, die Oberhand gewinnen. Tolerant zu sein in einem Kreis Gleichgesinnter fällt uns leicht, schwer hingegen dort, wo in uns Gefühle des Neides, der Eifersucht, des Abscheus oder des Hasses erweckt werden. Hier sollten wir bei uns beginnen, an unserem eigenen rauen Stein arbeiten. Wir tun das, indem wir das Menschenwürdige still und bescheiden vorleben. Mit uns wandelt sich dann auch unsere Umgebung zum Besseren, ohne dass wir einen anderen in seinen Entfaltungsmöglichkeiten beschränken. In der Loge sind Toleranz und Bruderliebe das Bindeglied, wie könnten wir uns sonst mit „mein Bruder“ anreden! Wir leben hier seit der Wende mit dem Rest-Gedankengut von zwei totalitären Regimen in den Köpfen der Menschen, im Beginn einer Demokratie, die zu verstehen uns oft schwer fällt. Ich möchte enden mit einem Auszug aus der Streitschrift „Traité sur la tolérance“ – Abhandlung über die Toleranz von Francois Voltaire, 1763: |
„An Dich richte ich meine Bitte, Gott aller Welten, aller Wesen, aller Zeiten.Du hast uns Herzen gegeben, nicht, damit wir einander hassen, und Hände, nicht, damit wir uns gegenseitig erwürgen. Gib, dass die winzigen Unterschiede in den Kleidern, die unseren gebrechlichen Leib bedecken, in unseren unzulänglichen Sprachen, in unseren lächerlichen Bräuchen, in unseren unvollkommenen Gesetzen, in unseren sinnlosen Überzeugungen, gib, dass alle diese winzigen Unterschiede, die uns so ungeheuer erscheinen und nichtig sind vor Dir, gib, dass sie nicht ein Signal des Hasses und der Verfolgung werden. Gib, dass die Menschen Tyrannei über die Seelen genauso verabscheuen und in den Bann tun wie Raub und Gewalt. Und wenn Kriege unvermeidlich sind, dann gib, dass wir uns wenigstens nicht auch mitten im Frieden gegenseitig hassen und zerreißen, sondern unsere Existenz dazu verwerten, in tausend Sprachen, doch in einem Gefühl, von Siam bis Kalifornien, Deine Güte zu preisen, die uns den kurzen Augenblick geschenkt hat, den wir Leben nennen.“ |